Denkschrift
Errichtung neuer Strafanstalten in Bayern betreffend.

An die königliche Justizverwaltung tritt die unabweisbare Notwendigkeit heran, im rechts-rheinischen Bayern zwei neue Strafanstalten und zwar die eine für männliche und die andere für weibliche Gefangene zu errichten. Wie verlautet, soll der bezügliche Gesetzentwurf für die 27. Finanzperiode demnächst zur Vorlage an die beiden Kammern des Landtags gelangen. Um den Sitz dieser Strafanstalten haben sich 17 Städte bzw. Märkte beworben und werden seitens der kgl. Staatsregierung verschiedentlich Erhebungen gepflogen, sowie Ortbesichtigungen vorgenommen. Auch die Stadt Aichach bewirbt sich um den Sitz einer der neu zu erbauenden Strafanstalten und hat diesbezügliche Petitionen an das kgl. Staatsministerium der Justiz sowie an die Kammer der Abgeordneten und an die Reichsratkammer eingereicht. Die Stadt Aichach hat sich erbötig gemacht, der kgl. Staatsregierung den zum Bau einer Strafanstalt erforderlichen Platz in der Größe bis zu 30 Tagwerk und - wenn etwa das Männergefängnis in Frage käme, auch noch eine größere Fläche von etwa 40 Tagwerk vollständig kostenlos zur Verfügung zu stellen und auch ,in Bezug auf sonstige Einrichtungen und Anforderungen der Justizverwaltung weitgehendst entgegenzukommen. Die Stadt Aichach hat mit großen Opfern ein vorzügliches Elektrizitätswerk und eine gediegene Hochdruckwasserleitung erbaut, sie hat gepflastert und kanalisiert und ist bereit, der Justizverwaltung den zur Beleuchtung der Strafanstalt erforderlichen Strom, sowie das benötigte Wasser um billigen Preis aus den stadteigenen Werken zu liefern, ferner die Anstalt kostenlos an das städtische Kanalnetz anzuschließen. Eine Ministerialkommission hat den von der Stadt Aichach angebotenen schönen und zweckmäßigen Platz im Werte von 25.000,00 M besichtigt und als vollkommen geeignet zum Bau einer weiblichen Strafanstalt befunden; auch die sonstigen Verhältnisse Aichachs scheinen der genannten Kommission entsprochen zu haben. Wenn dazu noch seitens der kgl. Staatsregierung und Landesvertretung das Prinzip zur Anwendung gelangt, daß bei den jüngsten Debatten in der Abgeordnetenkammer beim Eisenbahnetat hinsichtlich der Auflösung von Eisenbahnbetriebsdirektionen und beim Justizetat anläßlich mehrerer Petitionen um Wiedererrichtung von Landgerichten wiederholt erwähnt und hervorgehoben worden ist, nämlich diejenigen Städte, welche durch die Wegnahme oder Auflösung von Behörden Nachteil erleiden mußten, schadlos zu halten bzw. bei Neuerrichtung von Staatsanstalten in erster Linie zu berücksichtigen, so kann die Stadt Aichach unter allen Konkurrenzorten um eine Strafanstalt nur in vorderster Reihe in Betracht kommen. Gerade die Stadt - Aichach am Fuße der seinerzeitigen Stammburg unseres erlauchten Herrscherhauses Wittelsbach gelegen und mit der Geschichte dieses Hauses eng verknüpft verdient Oder es wurde im Laufe der Zeit Ersatz geschaffen durch Zuteilung anderer Stellen, Errichtung von Schulen und Studienanstalten, Bewilligung von Lokalbahnen usw. Nur die Stadt Aichach ging bisher leer aus und leidet noch unter dem Drucke der schweren Verluste. Wenn auch jetzt die Stadt Aichach wieder nicht berücksichtigt werden sollte, so sind die Hoffnungen auf eine Staatsanstalt und somit auch eine Entschädigung der erlittenen Verluste auf absehbare Zeit hinaus zerstört, denn an die Wiedererrichtung eines kgl. Landgerichtes am hiesigen Platze ist nach den letzten Verhandlungen im Finanzausschusse der Abgeordnetenkammer noch lange nicht zu denken. Es wäre somit nur eine Pflicht des Landes ein Gebot ausgleichender Gerechtigkeit und Billigkeit, wenn Staatsregierung und Landesvertretung durch Errichtung einer Strafanstalt die der Stadt Aichach seinerzeit geschlagenen Wunden wieder zu heilen suchen. Schon im Jahre 1896 - 81. Plenarsitzung - hob der jetzige Herr Kammerpräsident Dr. von Orterer die schwere Schädigung Aichachs durch den Verlust des Bezirksgerichtes hervor. Jetzt ist dem Staate und in speziellem der Justizverwaltung Gelegenheit geboten, der Stadt Aichach Nachteile, welche ihr aus gebotenen organisatorischen Rücksichten zugefügt werden mußten, wieder gut zu machen. Nur wenn dies geschieht, verstummen die Klagen und kommt Zufriedenheit in die Bürgerschaft. Bei einer Strafanstalt kommt es doch nicht so sehr darauf an, daß sie gerade in größeren Städten oder in der Nähe Münchens errichtet werde. Kleinere Städte wissen den wirtschaftlichen Vorteil derartiger Anstalten, wo der Konsum ein erheblicher genannt werden kann und wo auch schon während des Baues der Verkehr im Orte sich hebt wohl zu würdigen. Aichach ist zudem für eine weibliche Strafanstalt in geographischer Hinsicht sehr günstig gelegen. Inmitten der Landgerichte München, Augsburg, Eichstädt, Neuburg a.Do. an der Eisenbahnlinie Regensburg - Ingolstadt -Augsburg mit günstigen Zugverbindungen, sowie an den Staatsstraßen München - Donauwörth, Augsburg - Regensburg und nach Freising, ist es aus allen Teilen Bayern leicht zu erreichen. In Aichach wird auch der Neubau billig herzustellen sein. Infolge der hiesigen großen und leistungsfähigen Dampfziegelei, die die Bausteine zu niedrigen Preise abgeben kann, der billigen Arbeitslöhne und der in der Nähe vorhandenen sonstigen ebenfalls nicht teueren Baumaterialien können sicherlich bedeutende Einsparungen erzielt werden. An Behörden und Stellen sind in Aichach zur Zeit vorhanden:
Das k. Bezirksamt, k. Amtsgericht, k. Rentamt, k. Messungsbehörde, k. Notariate 1 und II, kgl. Postamt, k. Bahnstation ,k. Bezirksarzt, k. Pfarramt, Gendarmeriebrigade, zwei Rechtsanwälte, zwei prakt. Ärzte usw.
Geeignete gesunde Wohnungen würden den Beamten und Bediensteten zur Verfügung gestellt und wäre eventuell die private Bautätigkeit sofort bereit Wohnungen in ausreichender Anzahl und den Anforder-ungen der Neuzeit entsprechend, zu beschaffen.
diesesmal mit Rücksicht auf frühere, im Nachfolgenden aufgeführte schwere Verluste durch Zuweisung einer Strafanstalt wenigstens einigermaßen entschädigt zu werden, denn unter all den petitionierenden Städten ist keine, die so hart getroffen und so schwer geschädigt wurde, wie Aichach.
In den letzten Dezennien verlor die Stadt Aichach, ehedem verhältnismäßig wohlhabend, durch Organisationen und Zentralisationen von Behörden:
1. Im Jahre 1872 die kgl. Baubehörde, welche in Folge Organisation des Straßenbauwe sens dem k. Straßen- und Flußbauamt Ingolstadt, bzw. dem kgl. Landbauamte Freising zugeteilt wurde
2. Im Jahre 1879 das kgl. Bezirksgericht, daß nach Neuburg a.Do. verlegt wurde Landgericht. Dadurch erhielt die Stadt wohl den schwersten Schlag, den sie jemals erlitten und von dem sie sich nie mehr ganz erholen kann. Bei Aufhebung des Be zirksgerichts verließen 52 Familien mit ca. 300 Köpfen die Stadt, die Parteien blieben aus, das Absatzgebiet beschränkte sich nur mehr auf einen kleinen Kreis und in den Geschäften sah es sehr mager aus.
3. Im gleichen Jahre erfolgte auch die Lostrennung des Amtsgerichtes Rhein mit 37 Gemeinden vom hiesigen kgl. Bezirksamte und Einverleibung zum kgl Bezirksamte Neuburg a.D.
4. Im Jahre 1888 wurde der Sitz des Bezirksfeldwebels (Hauptmeldeamt) eingezogen und nach Ingolstadt verlegt.
So oft eben eine Organisation eintrat, wurden die Interessen der Stadt Aichach benachteiligt. Das solch schädigende Änderungen in die Verhältnisse und das Erwerbsleben eines Städtchens wie Aichach tief einschneidend wirken mußten, wird keiner näheren Darlegung bedürfen. Trotzdem ist die Stadt Aichach in Bezug auf Einrichtungen und Verbesserungen der Neuzeit hinter anderen größeren Städten nicht zurückgeblieben. Mit schweren Opfern der Bürgerschaft, durch geordnete Verwaltung und äußerste Sparsamkeit, ist es der Stadt gelungen, die eingangs schon erwähnten Elektrizitäts- und Wasserwerke, gute Pflasterung und Kanalisation einzurichten und kann sich die Stadt in Bezug auf Hygiene, Reinlichkeit und Sauberkeit, sowie schöne, günstige Lage anderen bedeutenderen Städten würdig an die Seite stellen. Die Bürger und Einwohnerschaft Aichachs ist bereit, alle möglichen Opfer zu bringen und alles aufzubieten, um eine Strafanstalt zu erhalten. Erhofft man sich doch von einer Vermehrung der Beamten und Bediensteten von einer ergiebigen Zunahme der Bevölkerungszahl und Mehrung von Konsumenten eine Besserung der geschäftlichen Verhältnisse sowie des allgemeinen Erwerbslebens, zumal ja die hiesige wirtschaftliche Lage durch das nahe Augsburg und die dortige Konkurrenz stark beeinträchtigt wird. Alle anderen Städte, die auch ihr Bezirksgericht verlieren mußten (Weilheim, Freising, Wasserburg) konnten den Verlust leichter verschmerzen, dort verblieben noch andere Anstalten,
Solche Orte, welche bisher keine Behörden verloren haben und bzw. Städte, in denen sich ohne dies schon Staatsanstalten befinden woraus dem Publikum Vorteil erwächst, sollten gerechterweise schon von vornherein aus der Konkurrenz ausscheiden.
Wenn auch nicht verkannt werden kann und will, daß jede Stadt ihre Interessen nach Möglichkeit zu wahren suchen muß, so dürfte es der Stadt Aichach doch nicht als Unbescheidenheit angerechnet werden können, wenn sie mit Rücksicht auf die erwähnten schweren Schädigungen und Verluste hier ausdrücklich betont daß sie den Vorzug vor allen anderen um ein Strafanstalt petitionierenden Orten verdient.
Das Wohl und die Zukunft der Stadt Aichach gebieten der Stadtvertretung alles aufzuwenden und keine Mühe zu scheuen, um durch Staatshilfe die allgemeinen Erwerbsverhältnisse zu fördern und zu heben.
Auch die Umgebung Aichach´s kann aus einer größeren Staatsanstalt Nutzen ziehen da ja durch den vermehrten Konsum ein besserer Absatz der Produkte ermöglicht wird. Die Stadt Aichach vertraut der kgl. Staatsregierung und der Kammer der Abgeordneten, daß sie die sich jetzt bietende Gelegenheit wahrnehmen und ihr als Entschädigung für die durch frühere organisatorische Bestimmungen zugefügten Verluste zum Sitze einer neu zu errichtenden Strafanstalt gütigst verhelfen mögen.

Aichach, am 24. Dezember 1903
Magistrat und Gemeindekollegium
der kgl. bayr. Stadt Aichach